Warum Produkte von Heute immer noch mit mikrobiologischen Technologien von Gestern getestet werden.
Der Gang durch den Supermarkt bietet den Zugriff auf eine Vielzahl von Lebensmitteln und Getränken. Bunte Werbung verspricht höchsten Genuss zu unschlagbar niedrigen Preisen. Doch wie sieht es mit der Sicherheit aus? Der Verbraucher geht einfach davon aus, dass der Gesetzgeber alles Notwendige geregelt hat und Nahrungsmittel einer ausreichenden Qualitätskontrolle unterzogen werden. Doch ist das wirklich so?
Die Mikrobiologie
Neben verschiedenen chemischen und sensorischen Analysen werden Lebensmittel heutzutage auf eine Vielzahl von Mikroorganismen und Infektionserreger getestet. Hierbei wird darauf geachtet, dass sowohl krankheitserregende wie auch produktverderbende Keime ausgeschlossen werden. Das Ziel ist es daher eine Gefährdung des Verbrauchers zu vermeiden bei gleichzeitigem Schutz des Produktes. Es gibt eine Vielzahl von Erregern auf die regelmäßig in den verschiedensten Lebensmitteln wie Wurst, Fleisch, Milchprodukten und Vielem mehr untersucht wird: Salmonellen, Listerien, Staphylokokken, Clostridien und Schimmelpilze sind nur eine kleine Auswahl daraus. Besonders kritisch sind Lebensmittel, die Säuglingen verabreicht werden, da ihr Immunsystem noch nicht so ausgeprägt ist um mit feindlichen Eindringlingen fertig zu werden. Vor allem Cronobacter ist in pulverförmigen Säuglingsmilchpulver gefürchtet.
Soweit die Theorie.
Doch die gängige Vorgehensweise bei der Qualitätskontrolle in der Mikrobiologie hat einen ganz wesentlichen Nachteil: Sie arbeitet oft noch mit veralteten Verfahren.
Der „Gold Standard“
Der “Gold Standard” für das verwendete Nachweisverfahren ist das Verfahren der Kultivierung. Hierbei werden Mikroorganismen auf einem künstlichen Nährboden oder in einem künstlichen Nährmedium ausgebracht.
Der Nachweis ist positiv, wenn die Bakterien auf diesen Nährmedien zu wachsen anfangen. Dabei werden jedoch nicht die Keime erfasst, die auf den künstlichen Nährmedien nicht wachsen können. Und das sind wesentlich mehr als gedacht. Heutzutage ist bekannt, dass bis zu 99 % aller Bakterien mit konventionellen Methoden, also Nährmedien, nicht nachgewiesen werden. Diese Zahl mag variieren. So ist der Anteil der unkultivierbaren Bakterien in Umweltproben größer (bis zu 99 %) als in Lebensmittelproben. Die Mehrheit stellt er jedoch immer dar.
Unkultivierbare Bakterien werden nicht erfasst
Das bedeutet, es können in den Lebensmitteluntersuchungen nur die Keime gefunden werden, die auf dem Nährmedium wachsen. Zum Beispiel Schimmelpilze, Staphylokokken oder Salmonellen. Unkultivierbare Bakterien werden bei der Untersuchung nicht erfasst, können sich jedoch eventuell in dem Lebensmittel vermehren und es kontaminieren.
Der Verbraucher erwartet jedoch von einer mikrobiologischen Qualitätskontrolle, dass sie alle für ihn relevanten Mikroorganismen erfasst. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das ist aber nur Experten bekannt.
Molekularbiologische Methoden sind leistungsstärker
Molekularbiologische Methoden erlauben den Nachweis von allen Bakterien, auch von denen, die nicht auf künstlichen Nährmedien wachsen können. Dies beruht auf der Tatsache, dass sie sich nicht auf äusserliche Merkmalen (Farbe, Form etc.) oder auf die angepasste Vermehrungsfähigkeit konzentrieren, sondern genetische Marker als Ziel haben. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von leistungsfähigen molekularbiologischen Methoden wie die VIT® Gensondentechnologie, PCR und verschiedene Nukleinsäuretests, die in der Routineanalytik eingesetzt werden können und auch werden.
Jedoch konzentrieren sich nach wie vor die gesetzlichen Verordnungen auf den “Gold Standard” der Kultivierung. Es ist daher sehr schwierig für moderne Verfahren, sich in der Industrie gegen das bewährte Verfahren durchzusetzen, zumal sie meist in der Durchführung für das Unternehmen teurer sind. Warum sollte der Produzent daher das Verfahren modernisieren, wenn der Gesetzgeber es nicht verlangt? Natürlich werden moderne Nachweisverfahren auch heute schon in der Industrie eingesetzt. Dies ist jedoch meist auf die „In Process“ Kontrolle beschränkt, um Fehlentwicklungen bei der Produktion rechtzeitig zu erkennen und Fehlchargen zu vermeiden. Die Endkontrolle – der letzte Test bevor es zum Verbraucher geht – wird meist mit den konventionellen und vom Gesetzgeber zugelassenen Verfahren durchgeführt.
Obwohl innovative Methoden schon seit über zwei Jahrzehnten auf dem Markt existieren, werden sie daher immer noch wenig eingesetzt, da schlicht der Druck seitens des Gesetzgebers (setzt weiterhin auf Bewährtes) und der Verbraucher fehlt. Die wenigsten Verbraucher sind jedoch mit den Details vertraut um sich eine eigene Meinung dazu bilden und Druck aufbauen zu können.
DER PERSPEKTIVENWECHSEL
Was wäre, wenn der “Gold Standard” nicht die Kultivierung sondern neue molekularbiologische Verfahren wären? Welche Mikroorganismen nachweisen können unabhängig ihrer Fähigkeit auf künstlichen Nährmedien zu wachsen? Die einfach alle Bakterien erfassen, die in der z.B. Lebensmittelprobe vorkommen? Und angenommen, eine neue Methode, die sich Kultivierung nennt, würde versuchen dagegen anzutreten und in die Verordnungen aufgenommen zu werden. Hätte sie eine Chance die “bewährten” molekularbiologischen Verfahren zu verdrängen? Obwohl sie nur einen Bruchteil der Mikroorganismen erfasst? Wohl kaum! Auch wenn diese Methode billiger wäre, würde sie sich nicht etablieren können, weil sie weniger Mikroorganismen in den Produkten erfassen würde, diese also in letzter Konsequenz unsicherer machen würde.
Wenn also die Methode der “Kultivierung” bei einem “Rollentausch” keine Chance gegen die spezifischeren und umfassenderen molekularbiologischen Methoden hätte und als einzigen Vorteil reduzierte Kosten für den Produzenten ausweisen könnte, warum ist sie dann heute noch das dominierende Nachweisverfahren?
Was muss sich ändern?
Die mikrobiologische Qualitätskontrolle muss sich in den kommenden Jahren verändern. Die gesetzlichen Verordnungen sollten endlich modernisiert und an neue Methoden angepasst werden. Dabei muss der Nutzen für den Verbraucher klar in den Vordergrund gestellt und von Bewährtem Abschied genommen werden.
Die Analyse einer mikrobiologischen Probe darf dann nicht mehr von der eingesetzten Technologie bestimmt werden, sondern es muss immer das Ziel sein, das gesamte mikrobiologische Bild zu erhalten.
Die Lagerhalle – ein bildlicher Vergleich
Man stelle sich eine große, unbeleuchtete und damit dunkle Lagerhalle vor, in der ein Paket platziert ist, welches gefunden werden muss. Eine Kerze würde immer nur einen ganz kleinen Teil ausleuchten. Das in der Lagerhalle platzierte Paket zu suchen wäre mit der schwach scheinenden Kerze ein fast aussichtsloses Unterfangen, da diese immer nur einen kleinen Fleck ausleuchten könnte. Wäre es jedoch möglich, die Lagerhalle schlagartig mit einem ganzen Set an Deckenflutern zu erhellen, dann würde das Paket sofort gefunden werden.
Genauso verhält es sich mit den Nachweismethoden: Die Methode der Kultivierung ist die Kerze. Innovative und molekularbiologische Nachweisverfahren sind die Deckenfluter.
Als die Methode der Kultivierung von Robert Koch, Ende des 19. Jahrhunderts etabliert wurde, da wurden Räume tatsächlich noch mit Kerzen ausgeleuchtet. Letztere sind modernen Beleuchtungstechnologien gewichen. Die mikrobiologischen Nachweisverfahren sind jedoch auf dem Stand der Kerzen stehengeblieben.
Es ist nun an der Zeit das Licht anzumachen! (JS)