Der Kampf gegen die Säure

Zuletzt aktualisiert: Nov 11, 2024 | Medizin

Protonenpumpenhemmer haben in den vergangenen Jahren eine außergewöhnliche Beliebtheit erfahren. Sie reduzieren die Produktion von Magensäure und mindern daher Symptome wie Sodbrennen und Reflux. Doch sind sie wirklich so unbedenklich, wie es die Pharmaindustrie gerne kommuniziert? Neueste Forschungen zeigen die Schattenseite der schnellen Helfer.

Starker Anstieg der Gabe von Protonenpumpenhemmer

In Deutschland wurden im Jahr 2015 3,65 Milliarden definierte Tagesdosen von PPIs verordnet. Dies ist eine Verdreifachung im Vergleich zu zehn Jahren zuvor. Eine weitere Analyse aus dem Jahr 2016 ergab, dass statistisch gesehen 11,9 % der deutschen Bevölkerung täglich eine Dosis von PPIs zu sich nehmen. In den USA nahmen zwischen 2013 und 2014 etwa 7,8 % der Bevölkerung regelmäßig PPIs ein. Dieser Anstieg wirft Fragen zur langfristigen Sicherheit von Protonenpumpenhemmern und deren Auswirkungen auf das Mikrobiom auf.

Wirkungsweise der Protonenpumpenhemmer

Die Protonenpumpenhemmer (eng.: proton pump inhibitor, PPI) wirken auf die H+/K+-ATPase in den Zellen des Magens ein und reduzieren so die Produktion der Magensäure. Dieses Enzym ist auch als Protonenpumpe bekannt und ist für den finalen Schritt der Salzsäureproduktion im Magen verantwortlich. Die Pumpe gibt Protonen (H+-Ionen) in den Magen ab, die sich dort mit Chloridionen zu Salzsäure (HCl) verbinden. Diese Salzsäure tötet 99 % aller Bakterien ab, die mit der Nahrung in den Magen gelangen, und dient damit als wichtiger Wächter des körpereigenen Mikrobioms. Doch Protonenpumpenhemmer wirken genau auf diesen Wächter ein und hemmen ihn irreversibel. Dies dauert 24 bis 48 Stunden und letztendlich so lange, bis der Körper neue Protonenpumpenmoleküle synthetisiert, um die Säureausschüttung wiederherzustellen. Das heißt, dass eine einmalige Gabe von PPIs ausreicht, um die Magensäureproduktion um 80 bis 95 % zu reduzieren.

Diese massive Reduktion reicht in der Regel aus, um Beschwerden zu lindern. Da jedoch nach ein bis zwei Tagen die Magensäureproduktion wieder zu 100 % läuft, werden Protonenpumpenhemmer oft über einen langen Zeitraum genommen. Und genau hier liegt das Problem.

Gegen welche Erkrankungen helfen Protonenpumpenhemmer?

Protonenpumpenhemmer helfen im Wesentlichen gegen drei Krankheitsbilder:

Gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD)

GERD führt dazu, dass Magensäure in die Speiseröhre zurückfließt und Reizungen verursacht. PPIs reduzieren die Säureproduktion, ermöglichen der Schleimhaut, sich zu erholen, und senken das Risiko für Komplikationen wie Ösophagitis oder Barrett-Ösophagus.

Magengeschwüre

PPIs fördern die Heilung von Magengeschwüren und reduzieren die Säurebelastung, wodurch das Risiko für Blutungen oder Perforationen minimiert wird. Sie sind auch Teil der Helicobacter pylori-Eradikationstherapie in Kombination mit Antibiotika.

Zollinger-Ellison-Syndrom

Diese seltene Erkrankung verursacht eine übermäßige Säureproduktion durch Gastrin-produzierende Tumoren. PPIs kontrollieren effektiv die Säuresekretion und lindern die Symptome.

PPIs sind deshalb so effektiv, weil sie nicht die Säure neutralisieren, wie es beispielsweise Antazida tun, sondern die Säureproduktion blockieren.

Häufige Verschreibung von PPIs

Ärzte verschreiben PPIs gerne und häufig. In niedrigen Dosen sind sie meist auch ohne Rezept in der Apotheke erhältlich.

„Ich verschreibe PPIs jeden Tag. Die Patienten nehmen sie wie Bonbons“

So äußerte sich uns gegenüber anonym ein Arzt. Und genau hier liegt das Problem. Die Patienten, die oft nur kurzfristig ein Symptom unterdrücken wollen, geraten aus Bequemlichkeit in eine Langzeittherapie. Bequemlichkeit? Ja, weil die Symptome meist bei einer langfristigen Umstellung der Lebensführung verschwinden oder zumindest drastisch reduziert würden. Dadurch gelangt weiterhin Magensäure vom Magen in die Speiseröhre (Reflux) und verursacht das unangenehme brennende Gefühl hinter dem Brustbein. Die daraus resultierende Reizung der Schleimhaut kann in schweren Fällen zu Entzündungen und Schäden an der Speiseröhre führen.

Protonenpumpenhemmer und Mikrobiom

Doch die Langzeitbehandlung mit PPIs ist gefährlich. Nicht ohne Grund hat der Körper die Magensäure als natürliche Barriere für Mikroorganismen eingerichtet. Dabei geht es in erster Linie nicht darum, dass keine Bakterien in den Darm gelangen – das ist selbst bei ungehemmter Magensäureproduktion unmöglich. Es geht vielmehr darum, dass das Gleichgewicht in unserem ausbalancierten Mikrobiom nicht gestört wird.

Wissenschaftliche Studien haben mittlerweile gezeigt, dass nicht nur das Mikrobiom im Darm empfindlich gestört wird, sondern dass die Unterdrückung der Magensäure sich auch auf die Zusammensetzung der Bakterien im Magen, in der Speiseröhre und im Mund auswirkt.

Mundhöhle

Im Mund kommt es durch die Nahrung zu einem ständigen Kontakt mit Bakterien. Erstaunlicherweise bleibt das orale Mikrobiom dabei relativ stabil. Dies wird durch bakterielle Populationen erreicht, die sich untereinander in einem Gleichgewicht befinden. Durch den veränderten pH-Wert können Bakterien aus dem Darmtrakt über den Magen in den Mund gelangen und sich dort ansiedeln. Auch die verminderte Säureproduktion im Magen reduziert die Säurebelastung im oberen Verdauungstrakt. Einige pathogene Bakterien können sich dadurch im Mund ansiedeln, die sonst keine Chance hätten. Dies führt zu einer Veränderung der Mundflora und begünstigt entzündliche Prozesse und orale Erkrankungen. Besonders die Anwesenheit von Fusobacterium nucleatum kann die Tumorbildung in Mund, Speiseröhre, Magen und Darm fördern.

Speiseröhre

Durch die geringere Magensäure können sich in der Speiseröhre langfristig negative Bakterien ansiedeln, die dort sonst keine Chance hätten.

Magen

Helicobacter pylori versteckt sich in der Schleimschicht des Magens
Helicobacter pylori versteckt sich in der Schleimschicht des Magens und entgeht damit der tödlichen Wirkung der Magensäure

Der Magen ist trotz des hohen Salzsäuregehalts niemals keimfrei. Insbesondere Helicobacter pylori hat sich darauf spezialisiert, sich in in die Schleimschicht des Magens zu bewegen und damit dem niedrigen pH-Wert zu entkommen. Sinkt jedoch der Säuregehalt, können sich noch mehr Bakterien ansiedeln. Studien zeigen, dass sich dann auf einmal Streptokokken und andere orale Bakterien im Magen ausbreiten und dort Entzündungen und Krebs verursachen können.

Dünndarm

Vom Magen geht es in den Dünndarm. Gelangen vermehrt Bakterien in den Dünndarm, kann es dort zu einer bakteriellen Überwucherung kommen (Small Intestinal Bacterial Overgrowth, SIBO). SIBO ist mit Symptomen wie Blähungen, Durchfall und Malabsorption verbunden. Bei der Malabsorption werden nicht genügend Nährstoffe durch den Dünndarm aufgenommen. Der Dünndarm ist die Pforte, durch die Nährstoffe, die über den Magen gelangen, an das Blut abgegeben werden. Diese Nährstoffe, wie Proteine, Fette, Kohlenhydrate, Vitamine und Mineralstoffe, sind lebenswichtig und ihr Mangel kann zu schweren Erkrankungen führen.

Diese Fehlfunktion, also die verminderte Aufnahmefähigkeit der Nährstoffe durch den Dünndarm, kann auch durch Zöliakie verursacht werden – eine Autoimmunerkrankung, bei der der Verzehr von Gluten zu einer Schädigung der Dünndarmschleimhaut führt. Es ist denkbar, dass in Fällen, in denen Zöliakie vermutet wird, die verminderte Magensäureproduktion durch PPIs die eigentliche Ursache ist.

Dickdarm

Schließlich führt die Einnahme von PPIs zu einer verminderten bakteriellen Vielfalt im Dickdarm und zu einer Zunahme potenziell pathogener Bakterien wie Enterococcus und Escherichia coli, was das Risiko für Infektionen wie Clostridium difficile erhöht.

Die Einnahme von PPIs kann also auf allen Ebenen von der Mundhöhle bis zum Dickdarm die Mikrobiome beeinflussen und Krankheiten, u.a. auch Krebs, auslösen.

PPIs verändern den pH-Wert des Magens, sodass nicht nur vermehrt Bakterien in den Dünndarm und Dickdarm gelangen, die ansonsten keine Chance hätten, sich dort anzusiedeln, sondern es kann auch das Mikrobiom des gesamten Verdauungstrakts, angefangen bei der Mundhöhle über Speiseröhre, Magen und Dünndarm bis hin zum Dickdarm, beeinflusst werden. Die Veränderungen des Mikrobioms können sich in verschiedenen Krankheiten manifestieren, z.B. in einem erhöhten Risiko für Infektionen, in entzündlichen Erkrankungen oder auch Krebs.

Verursachen PPIs Darmkrebs?

Während Darmkrebs bei älteren Menschen in den letzten 20 Jahren aufgrund verstärkter Vorsorgeuntersuchungen abgenommen hat, wurde in den letzten Jahren ein besorgniserregender Anstieg der Darmkrebserkrankungen um etwa 1 bis 2 % pro Jahr bei jüngeren Menschen beobachtet.

Könnte diese Beobachtung auf die vermehrte Gabe von PPIs hinweisen? Grundsätzlich wäre dies über die Veränderungen des Mikrobioms möglich, zumal Protonenpumpenhemmer auch die Aufnahme bestimmter Nährstoffe wie Magnesium und Vitamin B12 hemmen, deren Mangel die DNA-Reparatur und die zelluläre Gesundheit beeinträchtigen kann.

PPIs, Mikrobiom und Demenz

Auch die beobachtete Zunahme von Demenz bei der Langzeiteinnahme von Protonenpumpenhemmern könnte in direktem Zusammenhang mit der Veränderung des Mikrobioms stehen. Eine Dysbiose, also ein Ungleichgewicht der Bakterienpopulationen, könnte die Kommunikation über die Darm-Hirn-Achse empfindlich stören und zusammen mit vermehrten Entzündungen für den Anstieg von Parkinson-Erkrankungen verantwortlich sein.

PPIs reduzieren die Diversität des Mikrobioms

Im Wesentlichen wird durch Protonenpumpenhemmer die mikrobielle Diversität des Mikrobioms reduziert. Diese abnehmende Alpha-Diversität, also die Diversität der Bakterien innerhalb einer Probe, wird durch die „schlechten“ Bakterien verursacht, die durch den fehlenden Magensäure-Wächter die „guten“ Bakterien unterdrücken oder verdrängen können. Dies führt zu einer Dysbiose – einem Ungleichgewicht von guten und schlechten Bakterien – mit den bekannten gesundheitlichen Folgen.

Schutz des Mikrobioms

In erster Linie sollte zugunsten des Mikrobioms auf den Einsatz von Protonenpumpenhemmern verzichtet werden. Es gibt einen Grund, warum der Körper durch die Produktion von Magensäure nur sehr wenigen Bakterien den Eintritt in den Dünndarm erlaubt. Es mag Fälle geben, in denen der Einsatz von PPIs klinisch indiziert ist; dies sollte jedoch auf einen kurzen Zeitraum beschränkt werden.

Stomach acid kills bacteria
Magensäure tötet 99 % der eindringenden Bakterien

Langfristige Maßnahmen zur Reduktion von PPIs

Es muss langfristig – wie bei vielen anderen Krankheiten und Symptomen – angesetzt werden: Eine ausgewogene, ballaststoffreiche Ernährung und ausreichend Bewegung reichen in den meisten Fällen aus, um einen großen Teil der Reflux- und Sodbrennen-Beschwerden zu verhindern. Zudem eine Änderung des Lebensstils: Reduktion von fett- und zuckerreicher Ernährung, kein Nikotin, wenig Alkohol, wenig Koffein sowie Reduktion des Übergewichts.

Alle wollen die schnelle Lösung

Doch heutzutage will jeder eine schnelle Lösung. Der Arzt wird dabei zum Erfüllungsgehilfen. Das Vertrauen in die Pharmaindustrie scheint grenzenlos zu sein. Potenzielle Nebenwirkungen werden einfach ausgeblendet. Hier hilft nur gezielte Aufklärung – immer und immer wieder.

Hausmittel anstelle von PPI

Bananen und Hafermilch
Hausmittel sind eine sanfte Möglichkeit Sodbrennen zu bekämpfen

Es gibt eine Reihe von bewährten Hausmitteln zur Bekämfpung von Sodbrennen und Reflux.

Natron (Backpulver)

Natron ist eine Base, die die Magensäure neutralisieren kann. Ein halber Teelöffel Natron in einem Glas Wasser kann schnell Linderung verschaffen. Es sollte jedoch nicht zu oft verwendet werden, da es den pH-Wert im Magen beeinflussen und Nebenwirkungen wie Blähungen verursachen kann.

Ingwer

Ingwer hat entzündungshemmende Eigenschaften und kann helfen, die Verdauung zu verbessern. Am besten kleine Stücke kauen oder als Tee zubereiten.

Kamillentee

Kamille kann beruhigend auf den Magen-Darm-Trakt wirken und Entzündungen lindern. Eine Tasse Kamillentee etwa 30 Minuten bis eine Stunde vor dem Schlafengehen kann nächtliches Sodbrennen lindern.

Kaugummi kauen

Kaugummi regt die Speichelproduktion an, was die Säure in der Speiseröhre neutralisieren kann. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass er frei von Zucker und Süßstoffen ist. Leider ist heutzutage Sucralose bei Kaugummis sehr verbreitet.

Haferflocken

Haferflocken sind eine ballaststoffreiche, leicht verdauliche Speise, die überschüssige Magensäure binden und Reflux verhindern können.

Mandeln

Mandeln können überschüssige Magensäure neutralisieren, da sie alkalisch sind.

Bananen

Bananen haben natürliche Antazida-Eigenschaften, das heißt, sie neutralisieren die Magensäure und können eine Schutzschicht im Magen bilden.

Zusätzlich sollte darauf geachtet werden, dass die letzte Mahlzeit etwa zwei bis drei Stunden vor dem Schlafengehen eingenommen wird. Auch die Erhöhung des Kopfendes des Bettes kann nächtlichen Reflux verhindern.

Das Mikrobiom schützen

In den meisten Fällen, in denen PPIs eingenommen werden, wäre es besser, auf natürliche Mittel zurückzugreifen, anstatt den schnellen Weg über die Pharmaindustrie zu wählen.

PPIs sind Arzneimittel – und kein Arzneimittel ist frei von Nebenwirkungen. Aufgrund der potenziellen Veränderungen des Mikrobioms durch PPIs sollten Protonenpumpenhemmer daher nur bei schweren medizinischen Indikationen und nur über einen kurzen Zeitraum eingenommen werden.


Quellen und weiterführende Literatur

Bruno G, Zaccari P, Rocco G, et al. Proton pump inhibitors and dysbiosis: Current knowledge and aspects to be clarified. World Journal of Gastroenterology. 2019;25(22):2706-2719. DOI: 10.3748/wjg.v25.i22.2706

Imhann F, Bonder MJ, Vich Vila A, et al. Proton pump inhibitors affect the gut microbiome. Gut. 2016;65:740-748. DOI: 10.1136/gutjnl-2015-310376

Naito Y, Kashiwagi K, Takagi T, et al. Intestinal Dysbiosis Secondary to Proton-Pump Inhibitor Use. Digestion. 2018;97(3):195-204. DOI: 10.1159/000485852

Zhu J, Sun C, Li M, et al. Compared to histamine-2 receptor antagonist, proton pump inhibitor induces stronger oral-to-gut microbial transmission and gut microbiome alterations: a randomised controlled trial. Gut. 2023. DOI 10.1136/gutjnl-2022-327747

Die Langzeiteinnahme von Protonenpumpenhemmern ist mit erhöhter Letalität assoziiert. Der Arzneimittelbrief. 2017. DOI 10.1007/s15036-020-1328-3

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