Atemzug des Lebens
Wir bewegen uns in einer Wolke aus Mikroorganismen. Millionen unsichtbarer mikrobieller Zellen begleiten uns durch unser Leben. Auch wenn wir sie nicht sehen können, beeinflussen sie direkt unser Mikrobiom und unsere Gesundheit.
Durch die Coronazeit hat die „Luft“ einen erheblichen Imageverlust erfahren. Während es früher hieß: „Geh doch mal raus an die frische Luft“, wurden die Menschen durch politische Vorgaben und Maskenzwang dazu gezwungen, Luft in vielen Lebenssituationen nur noch gefiltert einzuatmen. Ohne näher auf die Sinnhaftigkeit solcher Maßnahmen einzugehen, wurde dadurch der Anschein erweckt, dass die Umgebungsluft eine Gefahr für den Menschen darstellt. Dabei ist gerade das Gegenteil der Fall. Luft kann natürlich auch Krankheitserreger beherbergen, trägt aber im Normalfall eine bunte Mischung aus Viren und Bakterien, die direkt mit dem Mikrobiom des Menschen in Austausch treten.
Warum ist frische Luft gesund?
Aber warum ist „frische“, also möglichst unbelastete Luft, so gesund?
Genießt man einen Spaziergang durch die Natur, so ist der Sauerstoffgehalt dort am höchsten und erreicht die maximalen 21 %. Dieser Sauerstoff wird vom Hämoglobin unserer roten Blutkörperchen, den Erythrozyten, gebunden und dient der Versorgung des gesamten Körpers. Sauerstoff ist notwendig, damit der Körper ausreichend Energie produzieren kann. Denn die meiste Energie aus der Nahrung wird im Rahmen der Zellatmung effizient durch Sauerstoff gewonnen. Jeder hat schon einmal erlebt, dass er sich nach einem Spaziergang durch den Wald frisch und belebt fühlt. Dies ist das direkte Resultat einer optimalen Zellfunktion.
Keine Schadstoffe
Frische Luft ist im Gegensatz zu Luft aus geschlossenen Räumen wesentlich weniger mit Schadstoffen belastet. In Innenräumen sammeln sich flüchtige organische Verbindungen aus Möbeln, Farben, Putzmitteln und anderen Quellen. Zusätzlich reichern sich Feinstaub und Kohlendioxid an, wenn nicht regelmäßig gelüftet wird. Im Gegensatz dazu entlastet frische Luft den Organismus und kann Kopfschmerzen, Müdigkeit und Atemwegsprobleme verringern.
Optimale Luftfeuchtigkeit
In einem geschlossenen Raumklima steigt durch die Atmung die Luftfeuchtigkeit. Auch Schwitzen und Kochen führen zu einer Erhöhung und fördern Schimmelwachstum, was Atemwegsprobleme hervorrufen kann.
Wirkung auf Psyche
Die Psyche reagiert direkt auf frische Luft. „Den Kopf frei bekommen“ ist ein typischer Spruch, der sich darauf bezieht, dass frische Luft die Konzentrationsfähigkeit, Wachheit und das Wohlbefinden erhöht. Zusätzlich haben Bewegung, Sonnenlicht und Naturgeräusche, wie das Zwitschern der Vögel, Vorteile für die Gesundheit, reduzieren die Stresshormone und fördern damit ein positives Lebensgefühl. Besonders das bewusste Durchatmen im Freien verringert Stress und macht den Kopf frei.
Zusätzlich dehnt es die Interkostalmuskulatur und macht auf diese Weise die Brust frei. Diese feinen Muskeln sitzen zwischen den Rippen und sind ein wesentlicher Teil der Atemmuskulatur. Das „befreiende Gefühl“ beim kräftigen Durchatmen von frischer Luft ist genau auf die Dehnung dieser Muskelschichten zurückzuführen.
Bakterien in der Luft
Ein wesentlich unterschätzter Aspekt der Bewegung an der frischen Luft ist aber das Inkontaktkommen mit den Luftmikroorganismen. Diese Bioaerosole, die vor allem aus Bakterien, Sporen, Viren und Pilzen bestehen, haben ungefähr einen Viertel Anteil an allen nicht lebenden Aerosolen der Luft.
Die meisten Menschen sind schon einmal in der Nacht mit dem Auto durch ein Schneegestöber gefahren. Dabei werden die Flocken vom Scheinwerferlicht bestrahlt, und es entsteht der typische „Star Wars“-Effekt – der Eindruck, mit hoher Geschwindigkeit durch eine Wolke aus Teilchen zu fahren. So kann man sich auch das Gehen draußen vorstellen. Bis zu 10 Millionen Mikroorganismen in einem Kubikmeter Luft prasseln auf uns herein, dringen durch die Nase, die Augen, die Ohren und den Mund in uns hinein, setzen sich auf unsere Kleidung, auf unsere Haut und unsere Haare und werden kurz- oder auch längerfristig ein Teil von uns, indem sie sich mit den anderen 38 Billionen Bakterien und 10.000 Billionen Viren in und auf uns verbinden.
Dadurch haben sie einen unmittelbaren Effekt auf unsere Gesundheit.
Die positiven Auswirkungen der Luftkeime
Mikroorganismen in der Luft können sich positiv auf unsere Gesundheit auswirken.
Stärkung des Immunsystems
Der ständige Austausch mit einer Vielzahl von Mikroorganismen stärkt unser Immunsystem. Es hat sich gezeigt, dass Kinder, die in ländlichen Gebieten mit einer höheren Anzahl an verschiedenen Mikroorganismen aufwachsen, wesentlich weniger Allergien haben als Kinder, die in der Stadt aufwachsen. Die Untersuchung von Amish-Kindern, einer Bevölkerungsgruppe, die eine sehr naturbelassene, landwirtschaftliche und traditionelle Lebensweise bevorzugt, zeigte ein wesentlich geringeres Asthmarisiko als die Vergleichsgruppe. Zwar hatte der Staub aus den Amish-Häusern eine höhere Endotoxinbelastung, aber gerade dies und die hohe mikrobielle Vielfalt der Luft schienen das Immunsystem zu stärken. Bei den Amish-Kindern wurde eine höhere Aktivität von Immunzellen festgestellt, die Entzündungen regulierten und überschießende Immunreaktionen verhinderten.
Diversität des Mikrobioms
Luft in ländlichen Gegenden, aber auch in städtischen Parks, besitzt eine höhere Diversität von Mikroorganismen. Dies wiederum wirkt sich positiv auf die Diversität des menschlichen Mikrobioms aus. Durch die kontinuierliche Konfrontation mit externen Bakterien aus der Luft wird das Mikrobiom wesentlich stabiler und dadurch gefestigter.
Darmgesundheit
Die Mikroorganismen der Luft können prinzipiell auch den Darm erreichen und sich positiv auf das Gleichgewicht im Darm auswirken.
Stimmungsaufhellung
Auch Bakterien der Luft können über die Darm-Hirn-Achse einen direkten Einfluss auf unsere Gefühle nehmen und dadurch stimmungsaufhellend wirken.
Hautgesundheit
Unsere unbedeckte Haut kommt in direkten Kontakt mit den Luftmikroorganismen, welche wiederum die Hautflora positiv beeinflussen können, was zu einer gesünderen Hautbarriere und einem besseren Schutz vor Pathogenen beiträgt.
Bakterien haben es schwer in der Luft
Dabei haben es die Mikroorganismen in der Luft nicht leicht. Denn sie müssen Pigmente besitzen, um ausreichend resistent gegen die UV-Strahlung der Luft zu sein. Überdies ist die Luft recht trocken und knapp an Nährstoffen. Viele luftüberlebende Bakterien können daher widerstandsfähige Sporen bilden, die ihnen ein Überleben auch bei schlechten Bedingungen ermöglichen. Diese natürliche Selektion schränkt ein, welche Bakterien an der Luft vorkommen können. Je ländlicher und unbelasteter die Luft, desto diverser und positiver ist die Bakterienmikrobiota.
Begrünung von Stadtflächen
Daher trägt eine Begrünung von Stadtflächen ganz wesentlich zu einer Verbesserung der Luftmikrobiota bei. Während in pflanzenfreien Stadtzonen die Diversität gering ist und pathogene, also krankmachende Bakterien auftauchen können, ist die Luft in unbelasteten und begrünten Zonen reich an verschiedenen Bakterien, die sich positiv auf die menschliche Gesundheit auswirken. Neben den bekannten Effekten von begrünten Zonen auf die Stadtbewohner, wie positive Auswirkungen auf die Psyche und ein erhöhter Sauerstoffanteil, ist die erhöhte Diversität von Bakterien ein weiteres Argument, Stadtzonen ausreichend zu begrünen.
10 Tipps für mehr Gesundheit durch Bakterien aus der Luft
Tipp 1: Landluft suchen
Kinder sollten idealerweise in einer ländlichen, möglichst unbelasteten Gegend aufwachsen. Ist das nicht möglich oder auch nicht gewollt, so sollten begrünte Stadtflächen möglichst oft aufgesucht werden.
Tipp 2: Auszeit gönnen
Gönne Dir, Deiner Lunge und Deinem Mikrobiom eine Auszeit. Lange sitzende Tätigkeiten in einem Büro sind Gift für die Gesundheit. Selbst 15 Minuten an der frischen Luft täglich können einen wesentlichen Unterschied ausmachen.
Tipp 3: Natur genießen
Gehe so oft wie möglich hinaus in die Natur. Nehme tiefe, bewusste Atemzüge. Genieße den Moment und fühle, wie der Sauerstoff in Deine Zellen strömt und gute Bakterien Dein Mikrobiom stärken.
Tipp 4: Raus aus den Klamotten
Gönne Deiner Haut Entspannung. Wirf den Stress und den Druck unserer heutigen Zeit mit Deiner Kleidung einfach ab und ermögliche Deiner Haut den Kontakt mit der Sonne, der frischen Luft und den darin vorkommenden Bakterien. Lasse Dich nicht von der Prüderie und der Angstmacherei unserer heutigen Gesellschaft davon abhalten. Genieße den Duft der Waldluft und spüre den Kontakt mit dem Gras und das Wehen des Windes auf Deiner Haut. Sei Du selbst. Lebe.
Tipp 5: Lüften
Wenn Du nicht ins Freie kannst, öffne mehrmals am Tag das Fenster und lüfte. Idealerweise erzeugst Du ein Querlüften durch gegenüberliegende Fenster. Auch wenn Dein Arbeitsplatz eine automatisierte Klimaanlage oder Lüftung besitzt, ist es trotzdem – außer in extrem belasteten Gegenden – besser, frische Luft hineinzulassen und nicht nur Luft zu inhalieren, die durch diverse Kanäle und Schächte geblasen und gefiltert wurde.
Tipp 6: Sport im Freien
Betreibe Sport unter freiem Himmel. Bewegung ist immer gut, aber wenn Du diese auch an der frischen Luft machen kannst, gewinnst Du doppelt.
Tipp 7: Raumklima beachten
Sorgen für ein ausgewogenes Raumklima. Achte darauf, dass die Luftfeuchtigkeit zwischen 40 und 60 % bleibt und die Temperatur im Bereich von 19 bis 22 °C liegt.
Tipp 8: Sei achtsam
Atme bewusst im Freien durch. Konzentriere Dich auf den Luftstrom, der Deinen Körper durchzieht und in jede einzelne Zelle hineinfließt. Sei achtsam.
Tipp 9: Meditiere im Freien
Meditiere idealerweise im Freien. Das Zwitschern der Vögel und die frische Luft stärken Deine Psyche, Deine Lunge und Dein Immunsystem.
Tipp 10: Sei dankbar
Aber vor allem: Hab keine Angst. Der Mensch ist ein Naturwesen und seit Hunderttausenden von Jahren im engen Kontakt mit den Bakterien. Der Körper ist es nicht nur gewohnt, sondern auch darauf angewiesen, im direkten Austausch mit den Luftbakterien zu sein. „Fühle“, wie die Bakterien mit der Luft in Deinen Körper einströmen, und sei dankbar, dass Du am Leben sein darfst.
Mit einer positiven Grundeinstellung, mehr Achtsamkeit und der Lust am direkten Kontakt mit der Natur kannst Du Dir sicher sein, nicht nur Dein Leben maßgeblich zu verlängern, sondern es auch in tiefen Zügen zu genießen. (JS)
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