Mundwasser im Kreuzfeuer

Jul 26, 2024 | Alltagsprodukte

Mundwasser im Kreuzfeuer: Die versteckten Risiken und die besseren Alternativen

In den letzten Jahren ist das Bewusstsein für die Bedeutung des Mikrobioms in unserem Körper deutlich gestiegen. Dennoch greifen viele Menschen weiterhin zu Produkten und Methoden, die eher schädlich als hilfreich sind.

Ein prominentes Beispiel hierfür ist die Nutzung von alkoholhaltigen Mundspülungen, die darauf abzielen, Bakterien im Mundraum zu eliminieren. Eine neue Studie zeigt nun auf, dass die tägliche Verwendung eines Mundwassers wie Listerine schädliche Effekte auf das Mikrobiom im Mund und die Gesundheit haben kann.

Die Wurzel des Problems: Angst vor Bakterien

Unsere Gesellschaft ist grundsätzlich skeptisch gegenüber Bakterien. Von frühester Kindheit an wird uns beigebracht, dass wir uns die Hände waschen müssen, dass wir nicht im Dreck spielen dürfen und dass wir keine schmutzigen Sachen anziehen oder in den Mund stecken sollen. Kurz: Bakterien sind die Verursacher von Krankheiten.

Auch wenn wir wissen, dass sich die wissenschaftlichen Grundlagen für diese Aussagen vollkommen geändert haben, so ist diese früheste Prägung immer noch in uns vorhanden. Unsere Nervenbahnen sind darauf ausgerichtet, alle konträren Botschaften dazu eher zu negieren. Dies ist jedoch auch evolutionsbedingt. In der Steinzeit, im täglichen Kampf ums Überleben, war es wichtig, dass wir eine Abneigung gegen verfaulte Sachen entwickelten. Auch wenn der Urmensch damals noch nicht wusste, was Bakterien sind, so war eine grundsätzliche Abneigung gegen alles, was Anzeichen für bakteriellen Bewuchs aufwies, eher lebensverlängernd. Dies hat sich bis heute in den Genen festgesetzt und zeigt sich bei manchen Menschen in der Trypophobie – der Angst vor unregelmäßigen Gebilden, wie einer Gruppe von verschiedenen kleinen Löchern. Diese Löcher wurden in der Steinzeit unbewusst als Symptom für z. B. infektiöse Hautkrankheiten wahrgenommen, und Menschen, Tiere oder Nahrung dadurch vermieden.

Der Fehlgriff zur Sterilisation

Doch heutzutage sind, dank prall gefüllter Supermärkte, einer modernen Abwasserkanalisation, fortschrittlicher Medizin sowie anderer Errungenschaften der modernen Zivilisation, der tägliche Kontakt mit infektiösen Gebilden eher selten. Und wie immer schlägt das Pendel dadurch zu weit aus: Wir kombinieren unsere Ur-Ängste mit dem Wissen über das Vorhandensein von Bakterien und projizieren unsere Befürchtungen auf die Mikroorganismen. Ein fataler Fehler.

So konzentrieren wir uns eher darauf, Bakterien zu vernichten, als Bakterienwachstum zu fördern. Mundwässer sind ein typisches Beispiel dafür. Nur die wenigsten Menschen würden sagen, dass sie versuchen, das Wachstum der Bakterien in ihrem Mund zu fördern. Stattdessen wollen sie die „bösen“ Bakterien vernichten, indem mit einer alkoholischen Lösung, einem Mundwasser, gespült wird. Aber das ist genau der falsche Weg!

Wissenschaftliche Erkenntnisse zu Mundwässern und dem Mikrobiom

Eine Studie der Medizinischen Fakultät in Antwerpen, veröffentlicht im Journal of Medical Microbiology, untersuchte die Auswirkungen einer täglichen Anwendung des Mundwassers Listerine Cool Mint auf die Mundflora der Teilnehmer. Wenig überraschend veränderte die alkoholische Lösung die Zusammensetzung der Bakterien. Dabei wurden jedoch primär „gute“ Bakterien abgetötet und es konnten sich vermehrt orale opportunistische Bakterien festsetzen, also Mikroorganismen, die in einem normalen, alkoholfreien Milieu keine Chance gehabt hätten zu überleben. Interessanterweise konnten sich besonders zwei Bakterienarten besonders durchsetzen.

Streptococcus anginosus, welche bekannt dafür sind, die oberen Atemwege zu besiedeln und neben Parodontose und Karies auch Abszesse verursachen. Zudem treten sie vermehrt bei Menschen auf, die Magen- oder Speiseröhrenkrebs haben. Dabei ist jedoch unklar, ob diese Bakterien den Krebs verursachen oder nur gefördert werden – ein typisches Problem der medizinischen Mikrobiologie, zwischen cause und effect, Ursache oder Wirkung, zu unterscheiden.

Ebenfalls vermehrt vorhanden bei den Patienten mit regelmäßiger Mundwasser Listerine-Spülung war Fusobacterium nucleatum, ein Bakterium, welches Parodontitis fördert und vermehrt im Zahnbelag vorhanden ist.

Auch wenn die Studie mit 59 Teilnehmern relativ klein war, so zeigt sich die Tendenz, dass bewusstes Sterilisieren in der Regel die falsche Vorgehensweise ist. Anstelle zu versuchen, Bakterien im Mundraum zu vernichten, sollte versucht werden, das Wachstum von positiven Bakterien zu fördern, damit diese wiederum die Zunahme von „schlechten und krankmachenden“ Bakterien verhindern.

Zwar gilt diese Empfehlung grundsätzlich für alkoholhaltige Mundwässer. Aber auch nicht alkoholhaltige Mundwässer sind ein Eingriff in die natürliche Zusammensetzung des Mikrobioms im Mund.

Die bessere Alternative: Förderung eines gesunden Mikrobioms

Statt auf Sterilisation zu setzen, sollten wir Maßnahmen ergreifen, die das Wachstum und die Vielfalt gesunder Bakterien fördern.

Ein gesundes Mikrobiom im Mund - ganz ohne Mundwasser.

Hier sind einige Empfehlungen:

Gesunde Ernährung:
Eine ausgewogene Ernährung, reich an Obst und Gemüse, kann helfen, das Mundmikrobiom zu unterstützen. Insbesondere grünes Gemüse hat entzündungshemmende Eigenschaften, die für die Mundgesundheit von Vorteil sind. Auch Käse kann den Speichelfluss anregen und Karies vorbeugen. ​​

Richtige Zahnhygiene:
Regelmäßiges Zähneputzen (mindestens 2x täglich) und die Verwendung von Zahnseide (ebenfalls morgens und abends) sind entscheidend. Entzündete Stellen können lokal mit entzündungshemmenden Mitteln betupft werden. Eine großflächige Anwendung sollte jedoch vermieden werden.

Probiotika:
Der Einsatz von Probiotika, die speziell für die Mundgesundheit entwickelt wurden, kann prinzipiell helfen, die nützlichen Bakterien im Mund zu fördern und ein gesundes Gleichgewicht wiederherzustellen.

Vermeidung von Zucker:
Zucker ist Gift. Nicht nur für unser Mundmikrobiom, sondern für den gesamten Körper. Dabei geht es in erster Linie um den raffinierten, den einfachen Zucker, der in Süßigkeiten und weißem Brot enthalten ist. Eine Reduktion des Zuckerkonsums trägt dazu bei, das Wachstum der negativen Bakterien zu hemmen und die Gesundheit des Mundmikrobioms zu fördern.

Ein Paradigmenwechsel

Um die Gesundheit unseres Mundes langfristig zu sichern, müssen wir einen Paradigmenwechsel in unserer Herangehensweise an die Zahnhygiene vollziehen. Statt auf Sterilisation zu setzen, sollten wir Maßnahmen ergreifen, die das Wachstum und die Vielfalt gesunder Bakterien fördern. Dies erfordert ein Umdenken und eine Abkehr von traditionellen, aber überholten Methoden.

Ein gesunder Mund wird nicht durch die Eliminierung aller Bakterien erreicht, sondern durch die Förderung einer ausgewogenen und vielfältigen Mikrobiota. Dies erfordert Geduld, Wissen und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen. Doch die Belohnung ist nicht nur ein Mund, der frei von Krankheiten ist, sondern auch ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem gesunden Körper. (JS)

Weiterführende Literatur:

Laumen, J.G.E., Van Dijck, C., Manoharan-Basil, S.S., de Block, T., Abdellati, S., Xavier, B.B., Malhotra-Kumar, S., & Kenyon, C. (2024). The effect of daily usage of Listerine Cool Mint mouthwash on the oropharyngeal microbiome: a substudy of the PReGo trial. Journal of Medical Microbiology, 73(6). https://doi.org/10.1099/jmm.0.001830

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