Mikroben als Architekten unseres Gehirns
Wann hat Dir das letzte Mal eine Sache „Bauchschmerzen“ bereitet oder hattest du stattdessen „ein gutes Bauchgefühl“? Oder bereitet dir ein neuer Partner momentan „Schmetterlinge im Bauch“?
All diese Redewendungen zeigen, dass der Volksmund schon lange ahnte, was die Wissenschaft erst später beweisen konnte: Die komplexe Verbindung zwischen unserem Darm und unserem Gehirn!
Viele Menschen betrachten den Darm ausschließlich als Verdauungsorgan und übersehen dabei oft seine faszinierende Komplexität sowie zahlreiche weitere Funktionen. Ein besonders interessantes Feld in diesem Zusammenhang ist die Mikrobiota-Darm-Hirn Achse.
Die Darm-Hirn-Achse
Unser Darm umfasst etwa 100 Millionen Nervenzellen, die zusammen das sogenannten enterische Nervensystem bilden. Dieses funktioniert nahezu unabhängig von unserem Gehirn, dem zentralen Nervensystem, und wird lediglich von diesem moduliert.
Einer der wichtigsten Kommunikationswege zwischen Darm und Hirn ist der Vagusnerv. Dieser erstreckt sich vom Gehirn über einen beträchtlichen Teil des Körpers und ist maßgeblich für den beidseitigen Informationsaustausch zwischen Darm und Hirn verantwortlich. Erstaunlicherweise machen lediglich 10 % aller entlang des Vagusnervs verlaufenden Informationen den Weg vom Gehirn zum Darm aus, während beeindruckende 90 % in entgegengesetzter Richtung – vom Darm zum Gehirn – gesendet werden. Diese Tatsache allein lässt schon erahnen, welche großen Auswirkungen unser Darm auf unser Gehirn hat. Die Forschung hat dies bestätigt und das Wissen um die Mikrobiota-Darm-Hirn Achse vertieft.
Der vergessene Faktor
Seit einigen Jahrzehnten wird intensiv an der Kommunikation zwischen Darm und Hirn geforscht. Jedoch wurde viele Jahre dabei ein wichtiger, gar entscheidender Faktor vergessen: Unser Darmmikrobiom. Dieses Versäumen wurde aber insbesondere im letzten Jahrzehnt von der Wissenschaft korrigiert, indem intensive Forschung an unserer Mikrobiota-Darm-Hirn Achse betrieben wurde.
Da Billionen unserer kleinen Mitbewohner in unserem Darm sitzen, im Vergleich zu nur ca. 100 Million Nervenzellen, überrascht es nicht, dass diese ein großes Mitspracherecht haben. Nicht nur bei Fragen zu unserer Ernährung, beispielsweise darauf, worauf wir Appetit haben, sondern auch in Bezug auf unsere Stimmung. Auch das Auftreten von Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer und Autismus scheint mit der Zusammensetzung unseres Mikrobioms in Verbindung zu stehen.
Dabei stellt sich jedoch eine entscheidende Frage: Da ein durchschnittliches Bakterium nur etwa die Größe von ein paar Mikrometern hat, wie können die von ihm vermittelten Signale die im Vergleich gewaltige Entfernung zwischen Darm und Gehirn überwinden?
Kommunikationswege: Vom Darm zum Gehirn
Unsere Darmmikroben können auf drei verschiedene Wege mit unserem Gehirn kommunizieren:
- über unser Nervensystem.
- über unser Immunsystem.
- über Botenstoffe in unserem Blut.
Unsere Darmbakterien sind in der Lage, eigenständig bestimmte Neurotransmitter, chemische Botenstoffe, die Informationen zwischen Nervenzellen übertragen, zu produzieren. Dadurch können sie direkt mit unseren Nerven interagieren. Über die Nervenbahnen in unserem Körper, beispielsweise den Vagusnerv können diese Informationen teilweise bis zum Gehirn übermittelt werden.
Indirekt können unsere Darmbakterien auch beeinflussen, wie viele dieser chemischen Botenstoffe der Körper ausschüttet. So konnte beispielsweise in Modellsystemen gezeigt werden, dass die Produktion des Glückshormons Serotonin von unserem Mikrobiom beeinflusst wird. Keimfreie Mäusen, also solche, die niemals mit Bakterien in Kontakt gekommen waren und dadurch völlig steril waren, zeigten eine geringere Menge an Glückshormonen im Vergleich zu ihren normal besiedelten Artgenossen.
Was bedeutet das für uns?
Welche unmittelbaren, spürbaren Auswirkungen hat nun diese Kommunikation zwischen unseren Darmmikroben und unserem Gehirn auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden? Wie wirkt sich die Mikrobiota-Darm-Hirn Achse auf uns aus?
Obwohl es naheliegend ist, da sie die Produktion des Glückshormons beeinflussen können, und dennoch erstaunlich: unsere Darmmitbewohner haben ein Mitspracherecht bei unserer Stimmung. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Mäuse, denen ein Stoff zugeführt wurde, den normalerweise die Darmbakterien produzieren, weniger depressives Verhaltens zeigten.
Zudem wurde bei vielen neurodegenerativen Krankheiten, darunter Parkinson oder Alzheimer, eine Veränderung des Darmmikrobioms beobachtet. Diese Ergebnisse deuten vielversprechend darauf hin, dass unser Mikrobiom eine bedeutende Rolle bei diesen Krankheiten spielt. Jedoch bleibt zu klären, ob diese Veränderungen Ursache oder Folge der Krankheit sind. Trotz dieser Vorsicht eröffnen die vorliegenden Daten viel Raum für die Annahme, dass unser Mikrobiom eine entscheidende Rolle bei diesen Krankheitsprozessen spielt.
Was bringt die Zukunft?
Das Forschungsfeld der Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse wächst rasant. Nahezu täglich gibt es neue Entdeckungen, und es scheint äußerst vielversprechend, dass unser Mikrobiom in den kommenden Jahren vermehrt das Ziel von Therapien gegen verschiedene Krankheiten sein wird.
Ein gesundes Mikrobiom ist also nicht nur ein „nice-to-have“, sondern kann unser Lebensgefühl und sogar unsere Lebensdauer positiv beeinflussen. In den kommenden Jahren wird sich auf diesem Gebiet sicherlich viel bewegen, neue Erkenntnisse werden gewonnen, und die Bedeutung unseres Mikrobioms wird weiter zunehmen.
Es ist daher bereits heute sinnvoll, aktiv für die Gesundheit des eigenen Mikrobioms zu sorgen, um den Körper als Ganzes optimal zu unterstützen. (LS)
Bild Mitte: Polushin Alexander – Adobe Stock
Weiterführende Literatur:
Morais LH, Schreiber HL 4th, Mazmanian SK. The gut microbiota-brain axis in behaviour and brain disorders. Nat Rev Microbiol. 2021 Apr;19(4):241-255. doi: 10.1038/s41579-020-00460-0.
Die Unentbehrlichen – Mikroben, des Körpers verborgene Helfer. – Thomas C.G. Bosh