Vererbung durch Mikrobiom

Zuletzt aktualisiert: Nov. 5, 2025

Vererbung durch Mikrobiom

Verhaltensmerkmale werden meist nur auf Gene oder Erziehung zurückgeführt. Eine neue experimentelle Studie zeigt nun, dass auch die Zusammensetzung der Darmflora allein über mehrere Generationen hinweg das Verhalten prägen und weitergeben kann und dies gänzlich ohne genetische Änderungen.

Mikroorganismen des Darmmikrobioms können zahlreiche Wirtsfunktionen beeinflussen, darunter auch das Verhalten. Schon länger wird vermutet, dass Unterschiede im Mikrobiom verschiedene Phänotypen eines Wirts hervorbringen und so auch die Evolution mitprägen können. Unklar war bisher, ob sich Verhaltensmerkmale tatsächlich über Generationen (!) vererben lassen.

Was wurde in der Studie gemacht?

Zunächst wurden zwei wildabgeleitete Mauslinien verglichen, die sich deutlich in ihrer Laufaktivität unterschieden: Die einen Mäuse waren sehr aktiv, die anderen deutlich lauffauler. Kotübertragungen zwischen den Mäusen belegten, dass der jeweilige Verhaltensunterschied durch das Darmmikrobiom vermittelt wird: Empfänger mit dem Mikrobiom des aktiveren Stamms legten signifikant mehr Strecke zurück als jene mit der Darmflora des inaktiveren Stamms.
Anschließend führten die Forscher ein Selektions-Experiment durch. In vier aufeinanderfolgenden Runden wurde stets das Mikrobiom der jeweils inaktivsten Maus auf keimfreie Empfänger übertragen, um schrittweise eine niedrigere Aktivität auszulesen. Eine Kontrolllinie erhielt parallel in jeder Generation zufällig ausgewählte Spender. Tatsächlich nahm die Laufdistanz in der Selektionslinie über die Generationen signifikant ab, während die Kontrolllinie ihr Ausgangsniveau beibehielt. Dies belegt, dass allein durch gerichtete Weitergabe der Darmflora eine nachhaltige Verhaltensänderung induziert werden kann.

Was hat man im Mikrobiom beobachtet?

Eine deutliche Zunahme von Laktobazillen (Gattungen Lactobacillus und Limosilactobacillus) und eine Abnahme anderer Bakterien waren mit der geringeren Aktivität assoziiert.
Zudem stieg das bakterielle Tryptophan-Abbauprodukt Indol-3-milchsäure (ILA) bei den „faulen“ Mikrobiota an. ILA war positiv mit dem Anteil an Lactobacillus im Darm korreliert – was deren Rolle als ILA-Produzenten bestätigt.

Was bedeutet das? Warum war das wichtig?

Biologisch gesehen liefert die Arbeit den klaren Beleg dafür, dass symbiotische Darmbakterien als nicht-genetischer Vererbungsfaktor für Verhaltensmerkmale fungieren können.
Die Darmflora erweitert somit den phänotypischen Spielraum eines Wirts über dessen eigenes Genom hinaus. Bestimmte Mikrobiom-Komponenten können unabhängig vom Wirtsgenotyp auf ein Verhalten selektiert werden und dieses über Generationen stabil weitertragen.
Insbesondere Laktobazillen und ihr Tryptophan-Metabolit ILA erweisen sich hier als Vermittler an der Darm-Hirn-Schnittstelle.

Hier geht es zu unserem kostenlosen Webinar über die Darm-Hirn-Achse: So beeinflusst du deine innere Kommunikation

Wie hat man den Kausalzusammenhang geprüft?

Ein isolierter Lactobacillus johnsonii-Stamm wurde oral an Mäuse verfüttert. Dadurch sank deren Laufaktivität signifikant gegenüber Kontrolltieren. Die behandelten Mäuse liefen weniger und langsamer, bei unverändertem Fressverhalten und Körpergewicht.
Ebenso führte die direkte Infusion von ILA in den Darm zu reduzierter Aktivität, ohne Einfluss auf Nahrungskonsum oder Gewicht.
Damit war bewiesen, dass die verminderte Aktivität unmittelbar durch das von Laktobazillen produzierte Metabolit ILA verursacht wird.

Das heißt in anderen Worten:

Verhaltensmerkmale können unabhängig vom Genom allein durch die Weitergabe des Darmmikrobioms weitergegeben werden.
Verhalten kann vererbt werden. Nicht über Gene, sondern über das Mikrobiom!

Aber wie kann ein Mikrobiom vererbt werden?

Zum Beispiel durch Geburt oder Pflegeverhalten: Beim Menschen und bei Mäusen erfolgt die erste Besiedlung über die Geburt, das Lecken/Küssen der Neugeborenen, die Muttermilch und später – v.a. bei bei Mäusen – durch Koprophagie (Aufnahme von Kotpartikeln).
Studien zeigen, dass bestimmte Bakterien über viele Generationen hinweg stabil weitergegeben werden. Wenn ein Mikroorganismus seinem Wirt einen Vorteil verschafft, kann er zusammen mit diesem Wirtstypus weitervererbt und damit Teil der natürlichen Selektion werden.

Welche Auswirkungen könnte das eines Tages haben?

Langfristig eröffnet diese Erkenntnis neue Möglichkeiten, gezielt gewünschte Eigenschaften über Mikrobiom-Manipulation zu fördern:

Tierzucht

Verhaltens- und Leistungsmerkmale könnten gezielt optimiert werden, indem man statt auf genetische Selektion auf vorteilhafte Mikrobiota setzt.

Medizin

Bestimmte probiotische Bakterien oder deren Metabolite (wie ILA) könnten eines Tages genutzt werden, um Verhaltensauffälligkeiten oder neurologische Störungen zu beeinflussen.

Was lernen wir daraus?

Das Konzept hilft zu verstehen, wie Tiere sich ohne DNA-Mutation an neue Umweltbedingungen anpassen können:
Unter sich änderndem Klima oder Lebensraum könnte die flexible Mitvererbung von Mikroben kurzfristig vorteilhafte Verhaltensanpassungen begünstigen.

Quelle:

Suzuki TA, Tanja A-S, Waters JL, Jakob D, Vu DL, Ballinger MA, Rienzi SCD, Chang H, Araujo IE de, Tyakht AV, Ley RE. 2025. Selection and transmission of the gut microbiome alone can shift mammalian behavior. Nat Commun 16:9482. Link zum Paper.

Das Wichtigste auf einem Blick

  1. Durch rein mikrobiologische Selektion über mehrere Wirt-Generationen konnte erstmals ein Verhaltensmerkmal (Laufaktivität) in Mäusen gezielt verändert werden und das ganz ohne genetische Eingriffe.
  2. Die Mikrobiom-Selektion führte zur Anreicherung von Laktobazillen im Darm; deren Tryptophan-Metabolit Indol-3-milchsäure (ILA) korrelierte mit der verringerten Aktivität.
  3. Die Verabreichung eines isolierten Lactobacillus johnsonii-Stamms oder von ILA alleine genügte, um die Aktivität der Mäuse messbar zu senken.
  4. Die Studie belegt einen mikrobiomvermittelten Vererbungsweg für Verhaltensweisen als nicht-genetisches Evolutionsprinzip.
  5. Das birgt potenzielle Anwendungen in Tierzucht und Medizin.
  6. Verhalten kann vererbt werden. Nicht über Gene, sondern über das Mikrobiom!

 

My Bacteria Podcast (Apple & Spotify):

 

 

Neueste Beiträge:

Ultimativer Mikrobiom Treibstoff

Ultimativer Mikrobiom Treibstoff

Wie beeinflussen Ballaststoffe dein Mikrobiom und deine Gesundheit? Lohnt es sich, auf eine regelmäßige Einnahme zu achten?
Sonnenallianz

Sonnenallianz

Licht. Haut. Mikrobiom. Sonne formt unser Mikrobiom, schützt vor Krankheiten und ist lebensnotwendig. Trotzdem gilt sie als Feind. Ein fataler Irrtum!
Kraftvoll kreativ mit Kreatin

Kraftvoll kreativ mit Kreatin

Kreatin bringt Kraft und Klarheit. Doch erst dein Mikrobiom zündet den Turbo. Überraschende Erkenntnisse aus dem Innersten deines Körpers.
No results found.
Cookie Consent mit Real Cookie Banner