Ein neuer Blick auf uns Menschen
Der Mensch besteht aus unzähligen Bakterien. Schätzungen belaufen sich auf ca. 50 Billionen Zellen. Im Gegensatz dazu haben wir „nur“ ca. 30 Billionen Körperzellen. Das ist eine ganze Menge. Aber ohne diese Mikroben, unserer Mikrobiota, wären wir nicht in der Lage zu überleben.
Lange Zeit hatte man gedacht, dass der menschliche Organismus nur aus Körperzellen besteht und die Mikroorganismen entweder feindliche Eindringlinge oder harmlose Darmbakterien sind. Erst in den letzten 20 Jahren wurde die Bedeutung der Bakterien für den menschlichen Organismus offensichtlich: Der Begriff Mikrobiom entstand.
Das Mikrobiom
In der Wissenschaft wird darüber diskutiert für was der Begriff Mikrobiom genutzt werden sollte. Der Vorschlag Mikrobiom für die Gesamtheit aller Gene zu benutzen und die Gesamtheit aller Mikroben Mikrobiota zu nennen ist populär. Letztendlich ist es aber nur eine akademische Diskussion. Gemeinhin wird Mikrobiom als Begriff für alle Bakterien verstanden, die sich in und auf unserem Körper befinden.
Doch warum ist das überhaupt relevant? Warum ist es wichtig sich mit den Bakterien unseres Körpers, unserer Mikrobiota, zu beschäftigen? Warum ist es notwendig zu wissen, dass diese nicht nur aus Darmbakterien besteht?
Warum sind für uns Bakterien lebensnotwendig?
Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass die meisten Menschen im Wesentlichen zwei Dinge über Bakterien wissen:
- Die Darmflora ist für eine gute Verdauung notwendig
- Es gibt auch krankmachende Bakterien, sogenannte Krankheitserreger
Das ist schade, denn Bakterien sind weit wichtiger als die meisten Menschen sich vorstellen können. Sie beeinflussen im großen Maße nicht nur unsere Verdauung im Darm, sondern sind essenziell für sehr viele Stoffwechselvorgänge. Doch damit ist es nicht genug: Unsere Mikrobiota wirkt auch direkt auf unsere Psyche und ist damit verantwortlich ob wir “gut drauf” oder missmutig, depressiv oder gar dement sind. Die Bakterien spielen damit eine elementare Rolle für unsere Gesundheit und unser Leben.
Wir wären ohne diese kleinen Bewohner nicht in der Lage auf diesem Planeten zu überleben. Sie sind demnach keine geduldeten “Mitbewohner” auf unserem Körper oder nur Kleinstarbeiter für unsere körpereigene Kläranlage, dem Darm, sondern ein Teil von uns. Die Bakterien sind wir!
Die Bakterien sind ein Teil von uns.
Dies ist ein Konzept, mit dem sich die Allermeisten von uns noch anfreunden müssen: dass die kleinen quirligen Zellen nichts Ekeliges sind, sondern zusammen mit den Körperzellen den Menschen bilden. Und es geht noch weiter: Im Laufe der Evolution sind die Bakterien auch in unsere Körperzellen vorgedrungen und bilden in diesen die Mitochondrien, die essenziell für unsere Energieversorgung sind.
Die meisten Bakterien in unserem Körper sind zwischen 1 bis 3 µm (Mikrometer = Millionstel Meter) groß. Würden alle Bakterien in unserem Körper wie auf Perlen auf einer Schnur aneinandergereiht, dann würde diese Schnur bei einer durchschnittlichen Größe von 2 µm insgesamt 200.000 km lang sein. Das ist die Hälfte der Strecke zum Mond oder auch der fünffache Erdumfang.
Ein Perspektivenwechsel ist notwendig.
Doch trotz dieses Wissens erschrecken sich die meisten Menschen, wenn sie unter einem Mikroskop einen Abstrich unserer Haut sehen und fragen: “Was tummelt sich da auf mir?” Das ist eine falsche Aussage: Eigentlich müsste es heißen: “Schau, wie ich mich auch auf dem Abstrich bewege.”
Doch dazu bedarf es eines Perspektivenwechsels, der in den Köpfen (noch) nicht verankert ist.
Die Forschungsarbeiten der letzten Jahrzehnte haben Großartiges hervorgebracht. Wir wissen jetzt nicht nur wesentlich mehr über die Funktion der Mikroorganismen und der Mikrobiota, sondern lernen auch nach und nach wie bestimmte Krankheiten und Infektionen verursacht werden, weil sich manche Bakterien nicht mehr in dem notwendigen Maße vermehren können. Auch das ist ein Paradigmenwechsel: Bisher dachte man, dass Erkrankungen durch die ANWESENHEIT von bestimmten Erregern verursacht werden. Nun lernen wir, dass viele Krankheiten durch die ABWESENHEIT von bestimmten Bakterienarten zum Ausbruch kommen. Dies ist ein Quantensprung in unserem Verständnis der Mikrobiologie: Wir müssen lernen nicht wie wir die Bakterien mittels Antibiotika und anderen Biozide entfernen, sondern wie wir das Wachstum der guten Bakterienarten fördern. Es steht nicht mehr die Eliminierung im Vordergrund sondern die Wachstumsunterstützung. Kommerzielle Probiotika, die aus der aktuellen Forschung an diesen Themen entstanden sind, gehen in diese Richtung und unterstützen vor allem die Darmbakterien.
Ursache – nicht Symptome!
Doch was für die Schulmedizin gilt, gilt auch hier: Wir dürfen uns nicht auf Medikamente und Probiotika verlassen. Es ist ein Irrweg für jedes Leiden einen speziellen pharmazeutischen Wirkstoff zu fordern. Genauso wie es falsch wäre, nur auf die Kraft der Keime zu setzen, die dem Organismus über kommerzielle Probiotika künstlich zugeführt werden. Stattdessen müssen wir lernen, wie wir auf natürlichem Wege gesund bleiben und eine Zerstörung unserer natürlichen mikrobiologischen Flora verhindern. Daher gilt auch hier: Nicht die Symptome kurieren sondern die Ursache angehen.
Eine echte Chance!
Aber gerade hierin liegt auch die gewaltige Chance eines neuen Verständnisses der Bedeutung der Bakterien für den Menschen: Wir können durch unsere Lebensweise ganz wesentlich die Anzahl und die Zusammensetzung unserer Mikrobiota bestimmen. Dadurch haben wir die Möglichkeit selbstbestimmt an unserer Gesundheit zu arbeiten und ohne Antibiotika und ohne schwerwiegende Erkrankungen bis ins hohe Alter gesund und leistungsfähig zu bleiben. (JS)
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