Wie Mikroorganismen die Geschlechtshormone steuern
Das Mikrobiom, die komplexe Gemeinschaft aus Billionen von Bakterien und Viren, spielt eine entscheidende Rolle in vielen Aspekten unserer Gesundheit – von der Verdauung über das Immunsystem bis hin zur Gehirnfunktion.
Ebenfalls ist das Mikrobiom auch eng mit den Geschlechtshormonen verbunden und beeinflusst dadurch möglicherweise entscheidend die Entstehung von Krankheiten wie Eierstockkrebs, Osteoporose oder dem polyzystischem Ovarialsyndrom.
Die faszinierende Verbindung zwischen Mikrobiom und Hormonen
Die Forschung zeigt, dass es eine bidirektionale Beziehung zwischen dem Darmmikrobiom und unseren Geschlechtshormonen gibt. Das bedeutet, dass nicht nur Hormone die Zusammensetzung des Mikrobioms beeinflussen, sondern dass das Mikrobiom selbst auch aktiv den Hormonspiegel im Körper reguliert. Diese Wechselwirkung ist ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie tiefgreifend die Verbindung zwischen den Mikroorganismen und dem Menschen ist.
Beispielsweise wurde beobachtet, dass das Mikrobiom bei Männern und Frauen unterschiedlich zusammengesetzt ist. Studien an Mäusen und Menschen haben gezeigt, dass Testosteron, Östrogen und Progesteron – die Hauptgeschlechtshormone – die Vielfalt und Zusammensetzung der Darmbakterien beeinflussen können. Bei Männern wurden höhere Mengen bestimmter Bakterienfamilien wie Bacteroidaceae gefunden, während bei Frauen andere Bakteriengruppen dominieren. Diese geschlechtsspezifische Zusammensetzung ist von enormer Bedeutung, da sie erklären könnte, warum bestimmte Krankheiten bei Männern und Frauen unterschiedlich häufig auftreten.
Das weibliche Mikrobiom
Im Folgenden soll der Schwerpunkt auf das weibliche Mikrobiom und dessen Korrelation zu hormonell bedingten Krankheiten bei Frauen gesetzt werden und wie die Gesundheit in die eigene Hand genommen werden kann.
Frauen und Osteoporose
Ein Beispiel für eine hormonell bedingte Krankheit ist die postmenopausale Osteoporose. Diese Form des Knochenschwunds, die bei Frauen nach den Wechseljahren auftritt, wird durch den Abfall des Östrogenspiegels ausgelöst.
Östrogen spielt eine wichtige Rolle im Knochenstoffwechsel, indem es den Knochenabbau hemmt und den Knochenaufbau fördert. Mit dem Rückgang des Östrogens steigt die Aktivität der Osteoklasten, die Knochen abbauen, während die Aktivität der Osteoblasten, die Knochen aufbauen, sinkt. Dies führt zu einem Ungleichgewicht, bei dem mehr Knochen abgebaut als neu gebildet werden, was die Knochendichte verringert und das Risiko für Knochenbrüche erhöht.
Interessanterweise scheint dabei das Darmmikrobiom eine zentrale Rolle zu spielen. Bei Versuchen an Mäusen konnte gezeigt werden, dass eine gestörte Mikrobiota den Knochenschwund verstärkt.
Bestimmte Bakterien können im Darm inaktives Östrogen über spezielle Enzyme (Beta-Glucuronidase) verändern, sodass es reaktiviert und in den Blutkreislauf neu aufgenommen werden kann.
Insgesamt ist die Diversität und Ausgewogenheit des Mikrobioms für eine optimale Hormonregulation wichtig. Bei einem stark veränderten Mikrobiom (Dysbiose) kann zudem die Darmbarriere gestört sein und Substanzen in den Blutkreislauf geraten, die Entzündungen auslösen. Diese entzündlichen Prozesse wiederum führen letztendlich zu einer Steigerung der Aktivität der Osteoklasten und damit zu einem verstärkten Knochenabbau.
Ein gesundes und diverses Mikrobiom kann daher den Knochenschwund stoppen oder zumindest verlangsamen. Die Aufnahme von speziellen Probiotika könnte zusätzlich völlig neue Perspektiven für die Prävention und Behandlung von Osteoporose öffnen.
Frauen und polyzystisches Ovarialsyndrom
Ein weiteres spannendes Feld ist das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS), eine weit verbreitete Hormonstörung bei Frauen im gebärfähigen Alter. Frauen mit PCOS leiden häufig unter Unregelmäßigkeiten im Menstruationszyklus, Übergewicht und einer erhöhten Produktion von Androgenen, den männlichen Geschlechtshormonen. Aktuelle Forschungen legen nahe, dass Frauen mit PCOS eine wesentlich geringere Diversität des Darmmikrobioms aufweisen als gesunde Frauen. Eine gestörte Darmflora könnte daher zur Insulinresistenz und den erhöhten Androgenspiegeln beitragen, die für PCOS charakteristisch sind.
Auch hier kann ein gesundes Mikrobiom helfen und die Symptome von PCOS lindern.
Frauen und Eierstockkrebs
Eine der wohl überraschendsten Erkenntnisse ist die mögliche Verbindung zwischen dem Darmmikrobiom und Eierstockkrebs. Eierstockkrebs ist eine der tödlichsten gynäkologischen Krebserkrankungen, und die genauen Ursachen sind noch nicht vollständig geklärt. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass das Mikrobiom eine Rolle bei der Entstehung und dem Fortschreiten dieser Krankheit spielen könnte. Bakterien können zu einer zu starken Zunahme von Östrogenen führen und auf diese Weise das Wachstum von Eierstocktumoren fördern. Wie oben bereits dargestellt, geschieht das über die Reaktivierung von inaktivem Östrogen.
Hier zeigt sich sehr deutlich, dass nur ein ausgewogenes Gleichgewicht von Östrogen gesund für den Körper ist. Während ein Zuviel an Östrogenen Eierstocktumore fördern kann, verursacht ein Zuwenig an Östrogen wiederum Osteoporose. Dies wiederum bedingt ein ausgewogenes Gleichgewicht im Mikrobiom.
Überdies gibt es Hinweise darauf, dass das Darmmikrobiom die Wirksamkeit von Chemotherapeutika wie Cyclophosphamid beeinflussen könnte. Bei Mäusen führte eine gestörte Darmflora dazu, dass die Behandlung weniger effektiv war. Dies deutet darauf hin, dass eine gesunde Darmflora nicht nur zur Prävention, sondern auch zur Verbesserung der Krebsbehandlung beitragen könnte.
Wir haben es selbst in der Hand
Auch wenn hier der Schwerpunkt auf das weibliche Mikrobiom gelegt wurde, so gilt dies im gleichen Maße auch für die Männer. Die Erkenntnisse über die Verbindung zwischen dem Darmmikrobiom und den Geschlechtshormonen eröffnen spannende neue Möglichkeiten in der Medizin, aber auch in der selbstverantwortlichen Vorsorge. Durch das Verständnis dieser komplexen Wechselwirkungen könnten prinzipiell zukünftige Therapien entwickelt werden, die auf die Modulation des Mikrobioms abzielen, um hormonelle Ungleichgewichte zu korrigieren und geschlechtshormonabhängige Krankheiten zu behandeln.
Es zeigt sich aber auch ganz besonders – und das ist die wirklich gute Nachricht –, dass Investitionen in das eigene Mikrobiom, in Form von ausreichender Bewegung, gesunder Ernährung und stressabbauenden Aktivitäten, sich definitiv bezahlt machen. Krankheiten können dadurch bekämpft oder auch ganz vermieden werden.
Jeder kann damit aus der passiven Rolle ausbrechen und sich stattdessen aktiv und erfolgreich um seine Gesundheit kümmern. (JS)
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Weiterführende Literatur / Quellen:
He S, Li H, Yu Z, Zhang F, Liang S, Liu H, Chen H and Lü M (2021) The Gut Microbiome and Sex Hormone-
Related Diseases. Front. Microbiol. 12:711137.
https://doi.org/10.3389/fmicb.2021.711137
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